Im Extremfall prallt ein Fußball mit 100 Stundenkilometer auf den Kopf eines Spielers, wenn er ihn als Kopfball annimmt. Eltern von US-Fußballjunioren sorgen sich, dass Kopfbälle im Fußball dem Gehirn langfristig schaden können. Sie fordern strengere Regeln und haben kürzlich gegen den Weltfußballverband Fifa und mehrere US-Fußballverbände Klage eingereicht. test.de sprach mit Experten, um zu klären, wie groß die Gefahr durch Kopfbälle wirklich ist.
Eltern von US-Juniorfußballern in Sorge
In Deutschland ist Fußball traditionell die beliebteste Sportart bei Kindern und Jugendlichen. Für 2014 registrierte der Deutsche Fußballbund fast 1,9 Millionen Juniormitglieder bis 18 Jahre. Mittlerweile wächst auch beim US-Nachwuchs die Fußballbegeisterung – doch Mütter und Väter sind nicht immer begeistert vom Soccer. Sie fürchten unter anderem Gehirnerschütterungen und chronische Hirnschäden durch Kopfbälle. Deshalb haben Eltern von Juniorfußballern in den USA Ende August 2014 US-Fußballverbände sowie die Weltfußballorganisation Fifa vor einem Gericht in Kalifornien verklagt: Die Fußballregeln reichen ihrer Einschätzung nach nicht aus, um beispielsweise vor Kopfball-Folgen zu schützen und sollten daher verschärft werden. In vielen Sportarten, die in den USA populär sind, wie Baseball, Eishockey und American Football, ist das Tragen eines Kopfschutzes üblich. Die Fifa wollte sich auf Anfrage von test.de nicht zu dem aktuellen Gerichtsverfahren äußern. Laut medizinischen Fachleuten der Fifa werden die Auswirkungen des Kopfballspiels aber erforscht.
Studien deuten Risiken an
In den vergangenen Jahren erschienen verschiedene Studien, die einen Zusammenhang zwischen intensivem Kopfballspiel, Hirnveränderungen und kognitiven Defiziten andeuten: So analysierten etwa Wissenschaftler der New Yorker Yeshiva Universität per diffusionsgewichteter Magnetresonanztomografie unnormale weiße Stellen im Gehirn von Fußballern, die laut eigener Angaben jeweils mehr als 885 Bälle im Jahr köpfen (Soccer Heading Is Associated with White Matter Microstructural and Cognitive Abnormalities). Diese Spieler schnitten bei kognitiven Tests schlechter ab als Spieler, die seltener köpften. Auch ein Forscherteam aus den USA und Deutschland hatte in den Gehirnen von Profifußballern im Vergleich zu Leistungsschwimmern großflächigere Veränderungen in der weißen Substanz entdeckt, die für die Nervenkommunikation bedeutsam ist (White Matter Integrity in the Brains of Professional Soccer Players Without a Symptomatic Concussion). Die Autoren schließen einen Zusammenhang zum Kopfballspiel nicht aus. Allerdings räumen sie selbst methodische Grenzen ihrer Studien ein – nur wenige Dutzend Probanden, kein Langzeitfokus.
Gehirnerschütterungen nach Zusammenprall
Der Kinderchirurg Professor Peter P. Schmittenbecher vom Klinikum Karlsruhe, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, hält das Risiko durch Kopfbälle bei Kindern und Jugendlichen für tragbar. Es lägen keine evidenz-basierten Studien vor, die Anlass zur Sorge gäben. Auch zu akuten Verletzungen führten Kopfbälle nur sehr selten. „Von etwa 14 000 Notfällen, die wir im Klinikum Karlsruhe jährlich versorgen, sind Unfälle durch Kopfbälle die absolute Ausnahme“, sagt Professor Schmittenbecher. Viel häufiger verursachten Kopf-an-Kopf-Zusammenstöße beim Fußball Gehirnerschütterungen und Prellungen. Das bestätigt auch die jüngste Verletzungsstudie des europäischen Fußball-Dachverbands Uefa für Top-Profi-Clubs. Danach gehen nur etwa 0,5 Prozent der Verletzungen auf das Konto von Kopfbällen. Deutlich mehr Kopfverletzungen entstehen danach durch den Zusammenprall mit Torpfosten oder Mitspielern. Als besonders gefährlich gelten sogenannte Querschläger – Bälle, die während des Spiels den Kopf unvorhergesehen mit Wucht treffen. Sie können lebensbedrohliche Hirnblutungen auslösen.
Biomechaniker setzen auf Technik und Training
Biomechaniker der Deutschen Sporthochschule in Köln beschäftigten sich mit den Risiken des Kopfballspiels aus bewegungswissenschaftlicher und traumatologischer Sicht. „Hart geschossene Fußbälle mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 100 Stundenkilometern werden nur selten in Anflugrichtung zurück beschleunigt“, erklärt Erich Kollath von der Sporthochschule Köln. Daher wirke meist nur ein Teil der Kraft auf den Kopf. Zudem entständen die meisten Kopfballsituationen nach Flanken, bei denen der Ball bei weitem nicht Maximalgeschwindigkeit habe. Kollath ist überzeugt, dass ein adäquates Techniktraining Risiken verringern kann: „Vor der Kontaktphase beim Kopfball sollte der Spieler eine Ausholbewegung in entgegengesetzter Richtung ausführen.“ Zudem sollten die Augen möglichst lange offen bleiben, um die Flugbahn des Balls besser abschätzen zu können und ihn dann präzise mit der Stirn zu treffen. Kräftige Nacken- und Rückmuskeln trügen dazu bei, die einwirkende Kraft besser zu verteilen. Wichtig: „Bei einem Kinder- und Jugendtraining sollten maximal drei Serien von jeweils zehn Kopfbällen mit altersgemäßen Bällen durchgeführt werden“, rät Kollath. Dazwischen seien Pausen von sieben bis zehn Minuten wichtig. Als Spielelement gewinne der Kopfball überdies erst ab der C-Jugend vermehrt an Bedeutung, also ab 13 Jahren. Dann erst werde aus technisch-taktischer Sicht das Spiel über Außen mit Flanken vor das Tor bedeutsamer.
Den richtigen Ball wählen
Die Wucht von Kopfbällen lässt sich auch durch passende Bälle verringern. Je nach Alter sollten Fußballtrainer beim Kopfballtraining Bälle aus leichtem Material einzusetzen, empfiehlt Kollath. Dazu eigneten sich im Vorschulalter Schaumstoff- und Softbälle. Bei Kindern bis zehn Jahren sollten zwischendurch spezielle Light-Bälle zum Einsatz kommen. „Dadurch verlieren die Kinder die Angst vor dem Kopfballspiel und können sich auf die Aneignung der richtigen Technik konzentrieren“. Biomechanische Messungen hätten ergeben, dass sich neben der Anfluggeschwindigkeit auch der Luftdruck eines Balls auf den Aufprall auswirke. Er darf laut Richtlinien von 0,6 bis 1,1 bar variieren, sollte beim Kopfballtraining aber keinesfalls ausgeschöpft sein. Der Deutsche Fußballbund empfiehlt für Kinder- und Jugendtraining zudem kleinere und leichtere Bälle. Ein Wettkampfball sollte bis einschließlich E-Jugend maximal 290 Gramm wiegen, ein herkömmlicher Fußball bringt bis zu 450 Gramm auf die Waage. Egal, ob beim Amateur- oder Profifußball – längst rollen Bälle mit einer wasserabweisenden Schutzschicht über den Rasen. Die saugen sich – anders als früher die offenporigen Lederbälle – nicht mit Wasser voll und werden bei Nässe nicht schwerer.
Kopfschutz überzeugt nicht
Besonders in den USA diskutieren Fachleute seit Jahren, ob ein spezieller Kopfschutz vor Gehirnerschütterungen schützen kann. In den Vereinen dort tragen vor allem Frauen und jüngere Spieler einen stirnbandähnlichen Schutz. Die Fifa hat das genehmigt. Wissenschaftler der Universität Northern Kentucky beschrieben 2009 in einer Überblicksstudie, dass noch Forschungsbedarf beim Thema Kopfschutz bestehe (Protective Headgear for Soccer Players: An Overview). Offenbar können handelsübliche Modelle Schädel und Hirn bei Zusammenstößen schützen, der Nutzen bei Kopfbällen ist noch nicht belegt. Doch Ingenieure tüfteln an neuen Materialien: 2014 präsentierten indonesische und malaysische Forscher einen Test, wonach ein Kopfschutz aus dem Schaum vom Knieschützern die Wucht von Kopfbällen dämpfen kann (Impact-absorbing Materials in Reducing Brain Vibration Caused by Ball-to-head Impact in Soccer).
Kopfbälle machen Spiel spannend
„Beim Fußball besteht eben ein gewisses Verletzungsrisiko“, sagt der Kinderchirurg Schmittenbecher. Er hält es trotzdem für sinnvoll, wenn Kinder Fußball spielen. Durch Inaktivität entständen neue Risiken wie Übergewicht, Gelenkprobleme und Diabetes. Diese Einschätzung dürfte Fußballtaktiker freuen: „Mit Kopfbällen können vor dem gegnerischen Tor gefährliche Situationen entstehen“, schreibt der Deutsche Fußballbund in seinen Trainingsempfehlungen für C-Jugend-Spieler. Die Weltmeisterschaft in Brasilien habe gezeigt, dass Flanken und Standardsituationen durch kopfballstarke Spieler an Durchschlagskraft gewinnen.
Fazit: Eltern sollten Training beobachten
Es liegen keine überzeugende Studien vor, die gesundheitliche Schäden durch moderates Kopfballspielen im Kinder-, Jugend- und Amateurfußball nachweisen. Allerdings raten Experten, Kopfbälle im Kinder- und Jugendfußball oft auch mit leichteren Bällen und grundsätzlich nicht im Übermaß zu trainieren. Eltern von Vereins-Fußballjunioren können sich bei den Trainern erkundigen, wie oft und mit welchem Ballmaterial sie Kopfbälle einüben. Das größte Risiko für Gehirnerschütterungen und andere schwerwiegende Kopfverletzungen entsteht beim Fußball offenbar, wenn Spieler mit den Köpfen oder Pfosten zusammenstoßen. Aber egal, was die Ursache ist: Sobald der Verdacht einer Gehirnerschütterung besteht, sollten betroffene Spieler sofort mit dem Spiel aufhören und einen Arzt aufsuchen. Möglicherweise wird der eine längere Fußballpause verordnen, weil Gehirnerschütterungen ausheilen müssen.
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